Team Bittel
 

Swiss Alpine 27.07.2002  

Autor:  ErwinBittel   E-Mail: erwin@teambittel.de
Letzte Änderung: 28.07.2002 18:34:19

Swiss Alpine 27.07.2002 - Brennende Sonne, herrliche Sicht über die Berggipfel, Geröll und Steine. 78,5 km. Es war hart!

Anreise

Wir fahren gemütlich fünf Stunden von Nürnberg über Lindau und Liechtenstein. Floricel und Yilian betrachten den Landschaftswechsel und sehen gespannt ihrer ersten Auslandsreise und besonders den Bergen und dem Schnee entgegen. Sie kennen keinen Schnee.

In Davos treffen wir wie ausgemacht Thomas Schmidtkonz so um 18.30 h im Kongresszentrum bei der Nachmeldung. Bis 20.00 h kann man sich nachmelden. Vor 2 Jahren hatte ich hier durch ein Versehen der Rennleitung zweimal bezahlt (hatte auch zwei Startnummern... siehe Bericht www.team-bittel.de/team/e_swissalpine2000.htm ). So wage ich frech zu fragen, ob man mir dieses Mal einen Rabatt geben könnte? - Danke der netten Rennleitung! Ich durfte gratis starten. € 90,00, die ich aber auch ohne Murren bezahlt hätte wenn es anders ausgegangen wäre. Ha, das fängt ja gut an, denke ich mir, und wie vier freuen uns. Es ist schön nicht ganz alleine zu sein am Vorabend. Wir gehen ins riesige Eisstadion ein paar Meter weiter und plaudern während wir versuchen den Nudeln mit Tomatensoße der Pasta-Party irgendetwas abzugewinnen. Ich hatte mich spontan vorgestern entschieden diese „Mörderdistanz“ von 78 km zu wagen. Thomas ist guter Dinge, strahlt. Ich mache mir nicht groß Gedanken, außer über das tückische Wetter hier, das in Minuten umschlagen kann. Bestes Laufwetter und volle Sonne ist vorhergesagt, doch abends am Zeltplatz nieselt es kalt. Wir bauen unser Zelt auf, (eigentlich gehört es Thomas), duschen und suchen uns etwas zu Essen im Warmen. Thomas geht in sein Hotel. Wie die vielen anderen Läufer des Zeltplatzes gehen wir bald ins Bett, in die warmen Schlafsäcke. Beruhigend plätschert der Gebirgsbach zwei Meter direkt neben unserem Zelt.

Davos ist ein herrlicher Platz. Es gibt hier sehr viel Energie. Wir sind auf etwa 1.600 m Meereshöhe. Frische Luft, grüne Hänge, enge Täler, hohe Berge, schneebedeckte Gipfel, dichte Wälder, weite Wiesen, ein kleiner See. Und angenehme Zeitgenossen die morgen mitlaufen.

Vorbereitung

Manche laufen mit Renn-Rucksack, viele mit Trinkgürtel oder Wasserflasche in der Hand. Ich zähle auf die bekannt gute Organisation dieses größten Ultra-Berglaufs der Welt und trage nichts mit mir. Ob ich mir meinen Windbraker umbinde? Sehen wir morgen... Ich gehe vor dem Schlafen noch eine Weile in mich und versuche mir vorzustellen wie wohl das Atmen morgen sein wird? Wie voll sind meine körperlichen Reserven und wie gut spirituell und mental bin ich drauf? „All systems clear“: Körper, Geist und Seele sind bestens! So schlafe ich beruhigt ein und kann in den morgigen Tag gehen. Ich fühle mich bereit.

Vor dem Start

Ausreichend vor dem Start piepst am Morgen mein Wecker. Katzenwäsche. Ich bin fit aber meine Sinne sehen das noch nicht ganz so. Es ist kalt, 8 Grad. Ich ziehe mich warm an und während die beiden Mädels etwas frühstücken baue ich das nasse Zelt ab. Wir fahren zum Start und parken direkt dort. Glück gehabt! Ich laufe mich 10 min. warm durch die noch leere Hauptstrasse. Gänsehaut durchflutet mich. Respekt vor dem Ereignis. Konzentration. Ich kehre zurück zum Auto, die ersten Sonnenstrahlen wärmen mein Gesicht. Viele aufgeregte Organisatoren wuseln herum, die ersten Läufer mindestens ebenso. Floricel und Yilian sind auch etwas aufgeregt. Noch 45 Minuten. Ich ziehe meine Laufsachen an. Ich wage ärmelloses Shirt und kurze Hose, Cappie sowieso. Der Himmel ist wolkenlos. Ich friere noch, doch ich spüre es wird sehr warm werden. Ein Hitzelauf. Heute nur mit Sonnencreme und Sonnenbrille. Und keine Jacke. All das sollte goldrichtig sein!

Schön, dass Thomas und wir uns noch vor dem Start treffen! Es ist nicht einfach im Gewimmel. Ich mache ausführlich mehrmals „Rosa B.“ (siehe www.team-bittel.de/team/rosa_b/index.htm ) im Schatten. Gymnastik. Thomas entscheidet sich gerade mit welcher Ausrüstung er starten will. Er sprintet um uns herum, mal mit Rucksack, mal ohne, mal mit Jacke, mal ohne. Alpen haben ein tückisches Wetter, das weiß jeder der alpenerfahren ist! 5 min vor dem Start reihen Thomas und ich uns ein unter die vielleicht 2.000 Läufer von K78 und K30. Musik, Aufregung, Gewusel, und ein Knall aus der Pistole direkt neben mir.

Start

In der Begleitzeitung zum Swiss Alpine lese ich heute, nach dem Lauf:

“Gipfeltreffen in Davos – 78,5 km laufen oder leben – was ist der Alpine wirklich? -

Neun Monate Vorbereitung. Mindestens. Der Startschuss fällt um acht Uhr. Ein Schrei, ein Klaps auf den Po – das Abenteuer Lebenslauf kann beginnen. Auch ein Arzt ist anwesend. Trinken, Trinken, Trinken!, befiehlt er der Läuferschar. Auch Babys lernen dies zuerst".

Los geht’s! Wir laufen zusammen mit den 831 K30-Startern durch die Reihen rufender und applaudierender Zuschauer. Es geht etwas bergauf im Ort. Ich laufe frei und ruhig, der Start war wie ein Windhauch von hinten der mich auf die lange Strecke treibt. Ich gehe in mich. Konzentration.

Erstes Trinken bei km5, ich lasse keinen Schluck aus. Auch nicht zu Beginn. Ich trinke Wasser. Was aber ist „Iste“? Dann verlassen wir Davos. Bis km12 ist es flach, Strasse und leichtgängig. Ich weiß was kommt, war schon einmal hier. Offiziell liest sich das (wirklich gut beschrieben):„Ein ständiges Auf und Ab zwischen den Kilometern 10 und 20, Pubertät, die erste Liebe, Schulabschluss, Berufsentscheidung. Weichenstellung. In der Steigung bis Monstein (km17) muss jeder für sich seinen Rhythm of Life finden. Seinen Weg, seinen Sinn des Lebens.“ – Ich folge den weißen Coop-Fähnchen, die im Boden stecken, an Bäumen hängen. Ich bin in Gedanken irgendwo, nicht hier. Alle 5km treffe ich eines dieser orangefarbigen km-Schilder am Boden, unsere Markierung. Wald, Wald, Wald. Enge Pfade manchmal. Meine Blicke ziehen durch dieses enge Tal. Seit der letzten Verpflegungsstelle weiß ich was „Iste“ ist: „Eis-Tee“. Aha! Aber Wasser ist mir lieber. Ich denke an ein paar Freunde, die irgendwie gerade gedanklich mit mir laufen. Und an Berghexen. Irgendwie sehr bald kommt km30: Filisur. Bis hierher kenne ich die Strecke. Die Sonne beginnt zu brennen, ich bin etwa 2:30 h unterwegs. Ich fliege am Ziel der K30 vorbei, erinnere mich an mein erstes Mal hier, schmunzle in mich ob des Schwyzer Humors, trinke und ab geht es in unbekannte Welten. Feldwege. Manchmal ist es schwierig den Weg zu finden, denn vor mir läuft niemand mehr. Hoppsa, auf einmal bin ich alleine!

Dann geht es unweigerlich bergauf. Asphalt, der schon warm wird, die Füße weich macht. Eine Biegung nach der anderen. Ich weiß, dass es unendlich lange bergauf gehen wird. Meinen Bergauf-Rhythmus finde ich schnell. Ich spüre jeden Herzschlag deutlich. Ich höre mich atmen. Plötzlich überkommt mich eine Gänsehaut und ich sage leise vor mich hin: „Okay, Löwenherz, jetzt geht es los!“ Ab und an treffe ich jemanden im Vorbeigehen. Still und in sich versunken wie ich. Ich fühle mich gut aufgehoben unter diesen Leuten. Irgendwie sind wir uns sehr verbunden, auch wenn wir keine Worte wechseln oder uns ansehen. Es ist anstrengend und ein jeder achtet hochkonzentriert nur auf sich. – Ich blicke manchmal ziellos nach rechts in die Weite und genieße den Blick. Die Berge. Meine Gedanken ziehen weite Kreise: die Alpen und ich. Kann ich mit den Bergen eins werden?

Km39: Bergün. Es ist Zeit etwas zu essen. Zwei Stück Banane. Ich kaue sie gründlich, um Magenbeschwerden vorzubeugen. Die fast 1.000 K42-Läufer laufen sich warm, der Ort wimmelt vor Läufern, die mich ungläubig ansehen. „Noch 10 min bis zum Start“ höre ich beim Verlassen des malerischen Ortes. Km45. Ich bin weiter in mich versunken. Doch plötzlich wird es sehr steil und ich kann nur mehr gehen. Ich nehme es wie es ist. Gut, dann gehe ich eben. Die Waldpfade wechseln zu rutschigen Steilwegen mit Steinen und Brocken. Steigungen die nicht enden wollen. Und es wird kühl. Die ersten K42-Läufer ziehen zügig an mir vorbei, haben jetzt 10 bis 15 km hinter sich. Ein Drittel, denke ich mir, da ergeht es den meisten sicher noch prima. Es wird immer steiler, ich stütze mich auf meine Oberschenkel beim Gehen, versuche meinen Rücken zu entlasten, der sich bemerkt macht. Und langsam spüre ich wie die Luft dünner wird. Endlich: km51, die Kesch-Hütte. Oh war das ein Aufstieg! Wir sind auf 2.632m. Das Atmen fällt mir schwerer als sonst. Ich trinke zwei Becher und setze mich erst mal auf eine dieser vielen Milchkannen die da herumstehen. Wieso eigentlich? Der Gedanke verdunstet schnell. Anstrengung, blendende brennende Sonne und diese dünne Luft! Ich nehme mir ein Stück Banane und marschiere weiter, denn es wird mir kalt. Viel Publikum applaudiert uns, eine Sprecherin begrüßt viele von uns mit Namen. Das ist aufmunternd. Ich frage mich eine Weile lang, ob ich nach dieser langen Marschier-Strecke wieder laufen kann?

Auch diese Frage erübrigt sich bald, denn es geht sehr steil bergab. Ich muss bremsen, rutsche zuweilen, muss wirklich aufpassen, dass ich nicht stürze! Das Geröll bleibt eine, vielleicht zwei Stunden. Ab und zu fließt Wasser dazwischen, hier oben entsteht wohl gerade ein hochalpiner Gebirgsbach. Auf dem dünnen „Panorama-Trail“ sehe ich nur wenige Läufer vor mir, wir gehen alle. Meistens. Ich will auf den ebenen Stücken wieder traben, doch es gelingt mir kaum, denn es geht leicht bergauf. Gerade soviel, dass ich bevorzuge zu gehen. Gut, nenne ich dieses Stück eben „Erholung“ und marschiere. Immer wieder tauchen in meinen Gedanken ein paar Freunde auf, die mich begleiten. Erstaunlich, wer mir alles in den Kopf kommt. Ich blicke durch meine Sonnebrille ins baumlose Tal hier oben, in die Weite der Gipfel. Leider kenne ich keinen. Na, zuerst erleben, dann informieren, sage ich mir. So mache ich das meistens. In waghalsigen Schritten am steil abfallenden Hang drücke ich ab und zu an jemandem vorbei. Manchmal macht er den Weg frei.

Km57. Der Arzt am Scaletta-Pass schaut mir tief in die Augen: „goht’s nü“? Ich frage mich warum er mich das fragt und wache für einen Moment aus meinen Gedanken auf. Ich lächle ihn ruhig an. Da sitzen viele junge Leute auf den Felsen die uns anfeuern. Es freut mich. Ob sie sich die Mühe des Aufstiegs nur wegen uns machten? Und schon erstarren mir die Gedanken. Oh, geht das plötzlich steil bergab! Füße, aufgepasst! Ich komme keine Sekunde dazu in die Weite zu blicken, muss meine volle Aufmerksamkeit darauf richten nicht auf der Geröllpiste umzuknicken. Das sind harte Schläge auf die Füße, die sich bis in die Schultern erstrecken. Das an mir vorbeirauschende km60-Schild hätte ich fast nicht gesehen. Einige Male komme ich ins Wanken, kann mich aber wieder fangen. Eine Läuferin überholt mich und sagt: „ einfach rollen lassen ist doch leichter“. Sie hat irgendwie Recht, aber es will mir nicht mehr richtig gelingen. „Das sagst Du so einfach, ist schwer nach 60km“ antworte ich. Sie erstaunt “Oh, sorry, das wusste ich nicht“. Ein kleiner Dialog. Es ist wahrlich artistisch, wie ich über Steine springen muss, verzweifelt nach Halt suche. Ich spüre jeden Schlag auf die Fußsohle und freue mich, dass ich weiche Sohlen habe. Nur nicht ausrutschen! Jetzt endlich wird es flacher. Endlich! Ich muss nicht mehr auf jeden Schritt achten, laufe jetzt über kurzes Gras auf einem Fahrweg bergab. Ein schönes enges Tal. Endlich ist mein Blick frei für die herrliche Berggegend.

Ich komme wieder richtig gut in Fahrt, spüre meine Rücken nicht mehr, die Beine sind wieder fit. Kaum zu glauben. Immer mehr Zuschauer stehen am Weg und klatschen. „Hopp-Hopp“. Na endlich kommen mir die Kilometer jetzt wieder entgegen. Ich fühle mich leicht, breite meine Arme aus zum Sinkflug. Zugegeben, es ist hart zu wissen, dass noch 20 km fehlen, aber ich werde es schaffen. Leichter Wind weht mir entgegen. Das tut gut. Nur selten weht er mir ein wenig zu sehr, bremst. Ha, als könnte ich den Wind steuern? Meine Beine laufen locker, ich atme durch, wieder dicke Tal-Luft und fast fühle ich mich ein wenig wie erholt. Ich überhole alle paar Minuten einen Läufer und bereite mich auf den letzten Anstieg vor, den ich bereits erwarte. Ich gehe nicht mehr bergauf, will ins Ziel. Waldwege, und plötzlich geht es um die Kurve und: Häuser! Häuser! Das ist Davos. Ach, wie schön wieder in der Zivilisation zu sein. Keine Ahnung woher ich die Kraft nehme noch zwei Läufer einzuholen. Ich spüre wie mich etwas zieht. Doch ich lasse diesen langen Tag einfach ausrollen. Ins Ziel. Ich breite die Arme aus, genieße die Anfeuerungsrufe der Zuschauer und rolle leichten Fußes ins Stadion. Einfach ausrollen. Ins Ziel.

Im Ziel

Meine Frau und die zwölfjährige Yilian begrüßen mich mit Tränen in den Augen, voller Freude und Erleichterung. Ich vergesse mich für einen Moment. Weg die Anstrengung, vorbei die Konzentration. Umarmen, sonst nichts. Es ist so schön erwartet und empfangen zu werden! - Dann nehme ich mir zwei Becher und muss mich erst einmal setzen. Ich bin klebrig vor getrocknetem Schweiß, schwitze aber nicht besonders. Die Sonne ist sehr warm, jetzt wo der leichte Wind weg ist. Noch zwei Becher... Ich trinke wohl mindestens zehn Becher von diesem orangefarbenen Irgendwas. Egal, süß, leider sprudelig aber egal. Ich bin glücklich es geschafft zu haben. Ich erzähle auch ohne Nachfragen wie es war. Faszinierend, hart, und am Ende ein Erlebnis wie es selten ist!

Nach zehn Minuten oder so beginne ich mich erst einmal eine Runde zu dehnen und strecken auf dem im ganzen Stadion ausgebreiteten Kunstrasen-Teppich. Ha, es geht noch! Ich helfe einem am Boden sitzenden älteren Läufer gegen seine Krämpfe. Ob das Traben schon wieder geht. Ich laufe eine kleine Stadionrunde. Es geht wieder. Wie lange wohl Thomas noch unterwegs ist? Wie es ihm ergeht? Ich dehne mich weiter unterhalte mich mit dem einen oder anderen Läufer der da sitzt und wir drei verlassen nach etwa einer halben Stunde das Stadion. Ich dusche mich kurz. Dann lasse ich mich noch an Beinen und Rücken massieren. Mindestens zehn Minuten! Danke! Ah, war das gut.

Langsam kommen immer mehr Läufer ins Ziel. Wir verlassen das Bergdorf Davos, nehmen unseren Teil des schönen Gefühls mit und fahren wieder heimwärts.

Danke der prima Organisation!


Erwin vom „Team Bittel“



P.S.: Finisher: K78/K42/K30 (889/997/831) +585Teamläufer +58Walker aus 27 Nationen.
Info: www.swissalpine.ch
 
[team/fuss.htm]